Was hat Gras mit Veränderung zu tun?

In meiner Arbeit als Change Manager begegnet mir immer wieder ein bestimmtes Gefühl, das Veränderungsprozesse prägt: „Das Gras ist grüner auf der anderen Seite.“ Dieses Empfinden ist zutiefst menschlich. Wir wollen, was wir nicht haben. Und oft ist es genau dieses Empfinden, das den ersten Impuls für Veränderung gibt. Das Heute ist vertraut, Probleme sind greifbar und Routinen oft ermüdend oder langweilig. Die Zukunft hingegen strahlt etwas Faszinierendes aus – sie ist voller Möglichkeiten und ambitionierter Ziele, während mögliche Schattenseiten einer Veränderung abstrakt bleiben und leicht auszublenden sind.

Diese Denkweise ist ein wertvoller Motor für Veränderung, weil sie Begeisterung weckt und die Energie mobilisiert, die es braucht, um einen Change-Prozess ins Rollen zu bringen. Doch es gibt auch eine Kehrseite: „Das Gras ist grüner“ lässt sich leicht umdrehen in „Früher war alles besser.“ Diese Perspektive richtet sich nicht nach vorn, sondern zurück – und kann dazu führen, dass ein vollzogener Wandel abgelehnt wird.

Wir beschäftigen uns heute mit beiden Aspekten von „Das Gras ist grüner“, dem Bezug in
die Zukunft und dem Bezug in die Vergangenheit.

Die Zukunft als andere Seite
 

„Das Gras ist grüner“ im Zukunftsbezug ist erst einmal etwas, das mich begeistert. Ich mag Optimismus und die Vorfreude auf Veränderung. Aber: Genau diese Begeisterung am Anfang von Veränderungsprozessen gibt uns auch Anlass vorsichtig zu sein und zu prüfen, ob wir nur etwas verändern wollen, um etwas zu verändern – oder ob der Grund für unsere Pläne echte Verbesserunsgmöglichkeiten oder Notwendigkeiten zugrunde liegen. Deshalb starte ich Veränderungsprozesse oft mit Reflexionsgesprächen mit den Initiatoren. Dabei prüfen wir gemeinsam, welche Ziele verfolgt werden, ob die Veränderung wirklich notwendig ist und wie sinnvoll die geplanten Schritte sind.

Sobald klar ist, dass die Veränderung wirklich durchgeführt werden soll, wird das „grünere Gras“ zu einem fantastischen psychologischen Mechanismus, um Begeisterung bei allen Stakeholdern zu wecken. Maßnahmen wie Zukunftsworkshops, Visionsarbeit oder gemeinsames Zielbild-Design nutzen genau diesen Mechanismus. Sie helfen dabei, ein positives, inspirierendes Bild der Zukunft zu schaffen, das Vorfreude weckt und innere Kräfte mobilisiert. Indem wir bewusst auf die natürliche menschliche Sehnsucht nach einer besseren Zukunft eingehen, schaffen wir Motivation und Energie, die Veränderung voranzutreiben.

Maßnahmen im Zukunftsbezug

  • Reflexionsgespräche: Klären von Zielen, Notwendigkeiten und Sinn der Veränderung.

Die Vergangenheit als andere Seite
 

Sobald eine Veränderung durchgeführt oder gestartet wurde, verschiebt sich die
Perspektive: Die „andere Seite“ wird plötzlich zur Vergangenheit. Und während wir die
Zukunft aktiv gestalten können, bleibt die Vergangenheit unerreichbar – wir können nicht
zurück. Genau hier zeigt sich eine Schattenseite des „grüneren Grases“: Anstelle von
Vorfreude auf das Kommende schleicht sich bei uns oder den Stakeholdern nostalgisches
Vermissen ein. „Früher war alles besser“ wird zum Leitmotiv. Früher mussten wir keine
nervigen Formulare ausfüllen, jetzt kostet das Genehmigungsverfahren Zeit. Früher war
das Team so familiär, heute sind wir 200 Leute, die sich kaum kennen. Damals konnte ich
schnell selbst entscheiden, heute muss ich meine Vorgesetzten fragen. Selbst wenn diese
„gute alte Zeit“ uns früher frustriert hat, verklären wir sie im Rückblick. So wird das
unerreichbare „Früher“ zum emotionalen Hindernis im Veränderungsprozess.

Nach mehr als 15 Jahren im Change Management kann ich eines sagen: Es gibt praktisch
keinen Veränderungsprozess, in dem dies nicht eine Herausforderung ist. Wir vermissen
unsere Vergangenheit. Was typischerweise nicht (alleine) hilft, ist eine logische
Aufschlüsselung all der Vorteile, die die Stakeholder durch die Veränderung genießen. Wir
reden hier nicht von einem rein rationalen Phänomen, sondern einem emotionalen. Eine
Möglichkeit, damit umzugehen, sind Workshops, die ich für mich „Trauerworkshops“
nenne. Egal wie ineffizient oder anstrengend oder nervig die Dinge früher waren,
Veränderungen bedeuten immer auch Verlust. In diesen Workshops arbeite ich mit den
Teilnehmern daran, anzuerkennen, was verloren ging, loszulassen und wieder ein
zukunftsbezogenes Mindset einzunehmen. Dazu gehört auch, zu sehen, was gewonnen
wurde – z. B. neu erworbene Kompetenzen – und was vielleicht zu Recht zurückgelassen
wurde (es gehen mit Veränderung ja auch schlechte Dinge verloren).

Eine weitere Maßnahme zielt stärker auf die Unternehmenskultur ab. Werden
Veränderungen als klar umrissene, hart abgegrenzte Prozesse organisiert, stellen sie einen
scharfen „Vorher/Nachher“-Bruch dar – ein Bruch, mit dem manche emotional nur schwer
umgehen können. „Früher war es so, jetzt ist es so. Fertig.“ Doch es gibt eine Alternative:
eine dynamischere Perspektive auf Veränderungen zu etablieren. Wenn wir darauf
fokussiert sind, unser Morgen aktiv zu gestalten, bleibt weniger Raum für Retrospektiven
und nostalgische Rückblicke. Eine solche Kultur lässt sich zum Beispiel fördern durch die
Etablierung kontinuierlicher Feedback-Runden, in denen Veränderungen als fließender,
iterativer Prozess betrachtet werden, und durch regelmäßige Vision-Updates, bei denen
Teams gemeinsam daran arbeiten, ein lebendiges, flexibles Bild der Zukunft zu gestalten.
Gerade kollaborative Formate, in denen Mitarbeiter dazu eingeladen sind, sich gemeinsam
in den Veränderungsprozess einzubringen und sich gegenseitig zu stärken, sind
besonders effektiv.

Maßnahmen im Vergangenheitsbezug

  • Trauerworkshops: Anerkennen, was verloren ging, und den emotionalen Prozess des Loslassens unterstützen, um ein zukunftsorientiertes Mindset zu fördern.
  • Kontinuierliche Feedback-Runden: Veränderungen als iterative Prozesse begreifen und schrittweise Anpassungen ermöglichen.
  • Regelmäßige Vision-Updates: Teams aktiv in die Gestaltung eines flexiblen, dynamischen Zielbildes der Zukunft einbinden, um den Fokus nach vorne zu lenken.

 

 

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